Am Sonntag, dem 8. April 2018, geschah in der Finkenkruger Kirche etwas Bemerkenswertes.

Schon früh am Morgen fiel allgemein auf: ein wunderschöner warmer sonniger Frühlingssonntag zog herauf. So war es wenig verwunderlich, dass die sonntägliche Gottesdienstschar zahlenmäßig überschaubar blieb. Das verhieß für die Eröffnung der Foto-Ausstellung „Kinder spielen überall“ wenig Gutes. Aber eine 1. Überraschung: es erschienen bis 15 Uhr doch eine Menge Leute: Alte, Junge, Kinder, Jugendliche, Familien und der Journalist Tim Lüddemann, der Urheber der Ausstellung. Eine überraschende Erscheinung: Er wirkte ein bisschen wie ein junger Pirat, passende Kopfbedeckung, legere Kleidung, fehlte eigentlich nur die Augenklappe. Sein Auftreten: offen, freundlich, kommunikativ.

Aber zunächst klappte fast nichts. In der locker besetzten Kirche bemühten sich zwei Männer, den Beamer für Lichtbilder in Gang zu bringen. Vergeblich. Dann begann Tim Lüddemann seinen Vortrag, hielt uns sein ‚tablet‘ vor Augen, wischte mit der Hand über die Oberfläche, um unzählige Bilder und Landkarten in Postkartengröße zu zeigen, und sprach mit Begeisterung über die Erlebnisse und die Situation auf der Balkan-Flüchtlingsroute 2015. Er sprach ohne Punkt, Komma, Pause, Gedankenstrich. Wie viele Ältere verstand ich rein akustisch nur ganz wenig.

Und trotzdem: Es war ein Erlebnis. Der Mann wirkte glaubwürdig. Er hatte eine Botschaft. Und wir merkten: es war eine wichtige Botschaft. So genügte das wenige, was man verstand, um sich mit einer beeindruckenden Wirklichkeit auseinanderzusetzen: unzählige Menschen auf der Flucht. In ihre Lage hat sich Tim Lüddemann versetzt. Vor allem mit dem Blick der Flüchtlings-Kinder war er dabei.

Ich will versuchen, uns seine Botschaft zu vermitteln. Ich fragte ihn nach seinem Motiv. „Am Anfang“, so sagte er, „stand journalistische Neugier.“ Und am Ende? Tim L. überlegte länger. „Ich merkte, es wurde ein historisches Ereignis. Und ich war mittendrin und musste lernen, verantwortlich zu handeln.“

Zwei Erfahrungen dieses Mannes haben mich betroffen gemacht, die dieses verantwortliche Handeln beschreiben. Er betonte, dass die großen Hilfsorganisationen zunächst nicht in der Lage waren, wirksam zu helfen. Sie waren auf eine Fluchtbewegung dieser Größe nicht vorbereitet. Aber es kamen von überall her schnell und spontan freiwillige Helfer, zunächst wenige, kleine Gruppen. Später organisierten sie sich und wurden immer größer und zahlreicher und vermittelten Menschlichkeit inmitten von Leid und Unmenschlichkeit. Die andere Erfahrung hing mit dem Schicksal der Kinder zusammen. Wie wurden sie mit dem Dreck, den Strapazen, dem Verlust ihrer Kindheit fertig? Tim L. sah sich die ganze Fluchtbewegung mit den Augen der Kinder an. Mit ihm taten das viele vor allem jugendliche Helfer und versuchten, den Kindern unter primitivsten Umständen so etwas wie Bildung und Überlebensstrategien zu vermitteln.

Die wenigen Bilder in der Ausstellung sind dafür ein beredtes und eindrückliches Zeugnis.

Es gab noch zwei schöne Zugaben. Passend zum Ausstellungsthema ertönte Musik von Kindern: Vier Klavierschülerinnen des Ehepaares Hebold/Härtel spielten kleine und kleinste Klavierstücke. Von „Fuchs, du hast die Gans gestohlen…“ bis Filmmusik aus „Harry Potter“. Berechtigter und kräftiger Beifall, ähnlich wie bei einem Benefizkonzert.

Und es gab eine liebevoll eingerichtete Kaffeestube, die nach der Besichtigung gern und ausgiebig genutzt wurde. Auch der neugestaltete Kirchplatz kam wirkungsvoll zur Geltung. Alles in allem: ein bemerkenswertes Erlebnis an einem wunderschönen Frühlingstag.

Hans-Günter Riechert